Gestalten Sie ihren Garten um und füttern Sie ganzjährig! Ein Weckruf gegen das Vogelsterben

Vogelexperte Peter Berthold sagt, was man gegen das Vogelsterben tun kann

Viele Vögel sind nicht mehr da

Es gibt immer weniger Vögel in Deutschland. Sie finden kein Futter für ihre Jungen. Was kann man tun? Der renommierte Vogelexperte Peter Berthold hat ein paar Ideen, wie man den Schwund wenigstens bremsen könnte(Auszug aus:) Peter Berthold 22.3.18 chrismon April 2018 ….

Was ist passiert?

Wir verlieren Vögel und zwar immer schneller. Der Schwund ging bereits um 1800 los, war aber bis etwa 1950 relativ harmlos: 15 Prozent weniger Vögel. Seit 1980 ist es eine galoppierende Schwindsucht. Wir haben mittlerweile 80 Prozent weniger Vögel in Deutschland! Wo früher fünf Vögel zwitscherten, ist es heute nur noch einer. Derzeit verlieren wir jedes Jahr etwa ein Prozent unserer Vogelindividuen. Auf jeden Einwohner Deutschlands kommen gerade noch anderthalb Vögel.

Wieso sterben uns die Vögel weg?

Ihre Lebensräume werden vernichtet, sie finden keine Nahrung mehr. Bei den Insekten geht der Schwund noch schneller, die werden zusätzlich noch vergiftet durch die Pestizide im Ackerbau. Die Roten Listen der gefährdeten Arten werden immer länger. Eine Schande für eine Kulturnation!  …….

Wo ist denn dann der Schwund?

Bei über der Hälfte der Vogelarten. Es gibt ­keine „Allerweltsarten“ mehr. Ja, Kohlmeise oder Amsel kommen noch recht häufig vor, aber der Star, die Schwalbe, die Feldlerche ­waren auch mal sehr häufige Vögel.….. Es gibt nur noch einen Restbestand an Lerchen. Weil unsere Felder als Lebensraum überhaupt nicht mehr taugen. Das „Unkraut“ ist rausvergiftet. Früher verfütterten die ­Lerchen die Insekten auf diesen Wild­kräutern an ihre Jungen, sie selbst fraßen die Wildkrautsamen. Die Lerche findet auch ­keinen Platz mehr zum Brüten, sie brütet ja am ­Boden. Die Felder sind inzwischen so dicht gesät. Und dann noch meist mit Winter­getreide, das wird im Herbst gesät und ist im Frühjahr schon so hoch, dass die Lerche ­keinen Fuß auf den Boden bekommt. …….

Die meisten Schutzgebiete sind zu klein, sie liegen zu weit auseinander

Reicht das nicht, wenn es in Rumänien noch genügend Vögel gibt?

Nein, wir brauchen auch hier viele Vögel. Überhaupt viele Arten, also viel Biodiversität. Das ist unsere Überlebensversicherung. Wenn es zu wenig Arten gibt, wird das Ökosystem instabil, dann genügt ein einziger ­neuer Schädling, und unsere Ernte ist vernichtet. Nehmen Sie den Obstbau hier am Bodensee. Die Plantagen werden heute 25-mal im Jahr gespritzt. Da geht kein Vogel mehr rein. Deswegen freuen sich jetzt Schädlinge wie die Kirschessigfliege, die neu zu uns gekommen ist. Gegen die helfen keine Insektizide. Die Spätkirschen letztes Jahr konnte man nur wegwerfen.

Und was hat das mit den Vögeln zu tun?

In meinem gemischten Obstgarten, ein ­Hektar groß, hab ich etwa hundert Nistkästen hängen. Meine Obstbäume werden jeden Tag bestimmt zehnmal von Meisen durchsucht. Bis die Kirschessigfliege zum Zuge kommt, ist die Ernte längst eingebracht.

Sie kritisieren die „industrielle Agrarlandschaft“ – was genau stört Sie?

Die ausgeräumte Landschaft. Man hat alle ­Hecken, Bäume, Sträucher gerodet, damit man mit den Landmaschinen ohne Umwege die Äcker bearbeiten kann. Man hat Tümpel und feuchte Mulden zugeschüttet. Und man bringt jede Menge Gift aus. Früher waren auf den Feldern geschätzt 70 Prozent Nutz­pflanzen und 30 Prozent Wildkräuter – und die waren die Abstandhalter gegen über­springende Krankheiten. Heute sind es meist 99,9 Prozent Nutzpflanzen.

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Auch Gärten machen fast vier Prozent Deutschlands aus. Könnten die vielleicht der Tierwelt nützen?

Ja! Wenn man die so gestalten würde, wie mein Garten aussieht. Ich hab 500 Quadratmeter, vollständig bewachsen mit Bäumen und Sträuchern und Stauden, dazu Nistkästen und Vogelfutterstellen. Es brüten jedes Jahr 15 bis 20 verschiedene Vogelarten bei mir.

Was halten Sie von Deutschlands Gärten?

Zu über 90 Prozent sind das Psychopathen­gärten mit runtergehobeltem Psychopathenrasen. Es ist eine Frechheit, ein Stück des von Gott gegebenen Landes so zu missbrauchen! ….. Wenn alle Gärten naturnah wären, dann hätten wir deutschlandweit einen Biotopverbund.

Klingt nach einer Riesenaktion…

Nein, es reicht oft wenig, um sofort eine gewisse Biodiversität zu erhalten. Wenn ich in großen Städten bin, zähle ich morgens vom Hotelbett aus die Vögel, die ich durchs offene Fenster höre. In einer Nebengasse beim Kölner Dom, reine Betonwüste, hörte ich zum Beispiel eine Mönchsgrasmücke. Später guckte ich mir die Umgebung an und stellte fest: Mensch, da ist ein ganz kleiner, toller Garten, an der Hauswand wächst Efeu hoch, oben ist ein begrünter Balkon, drüber ein Dachgarten. Schon hat man eine kleine Oase, wo lauter Viecher drin sind.

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Setzen Sie noch Hoffnung auf die Politik?

Auf die Politik nicht. Aber auf die Bevölkerung. Jetzt gilt es anzupacken.……

Was könnte jeder sofort tun?

Vögel ganzjährig füttern!

Nicht nur im Winter bei Schnee?

Nein, denn die härteste Zeit für einen Vogel ist nicht der Winter, sondern die Brutzeit im Mai, Juni. Da arbeiten die Vögel von morgens vier Uhr bis abends zehn Uhr bis zum Umfallen, um ihre Jungen mit Raupen und Insekten zu versorgen. 

Aber ich verfüttere doch keine Insekten, sondern Sonnenblumenkerne, Erdnüsse, Fettknödel . . .

Genau, das ist das Futter für die Eltern, damit sie die paar Insekten, die sie noch finden, an die Jungen verfüttern können, die Jungen kriegen ja tierische Nahrung. Und wenn in der Not der Altvogel seine Jungen mit Ihrem Vogelfutter füttert, ist das immer noch besser als nichts.…..

Werden die Vögel dann nicht faul?

Nein. Wenn die Vögel richtig schlechte Tage haben – nehmen wir mal einen Junitag, sechs Grad, regnerisch, keine Insekten unterwegs, die Jungen knapp vorm Eingehen –, gehen die Eltern nach jeder Fütterung der Jungen an die Meisenknödel. Dann gibt es schöne Tage mit 28 Grad – und keiner ist an Ihrer Futterstelle. Die sind alle draußen und suchen ihr Natur­futter zusammen. Vögel lassen sich nicht „durch-
füttern“, das ist immer nur ein Zufüttern.

Aber wenn immer nur Allerweltsarten ­kommen, wie Kohlmeise, Blaumeise, Spatz – wem nützt die Fütterung dann überhaupt?

Häufigere Arten sehen Sie natürlich auch häufiger. Aber auch die Kohlmeise hat abgenommen, und vor allem nimmt ihr Bruterfolg laufend ab. Was glauben Sie, wie viele Leute mich jedes Jahr anrufen und sagen: Herr Berthold, jetzt hab ich in meinem Garten zwei Nistkästen aufgehängt, endlich brütet, Gott sei Dank, ein Kohlmeisenpärchen, und da haben wir mal reingeschaut, ja, weiß ich, soll man nicht, aber die hatten neun Eier, und jetzt sind gerade mal zwei Junge drin – woran liegt das? Na ja, sag ich, die haben nichts zu fressen, die finden nur Futter für zwei Junge, nicht für neun.

Aber ich möchte doch auch anderen Vogelarten helfen!

Sie müssen warten. Auch wenn dann eine Haubenmeise nur einmal die Woche kommt, erhöht die Fütterung ihre Überlebenschance.

„Freilaufende ­Katzen bringen jedes Jahr Millionen Vögel um“

Was nützt das Zufüttern am Ende?

Mehr Eier, größere Eier, fittere Junge, so dass mehr Junge tatsächlich flügge werden.

Aber den Lerchen hilft meine Fütterei nicht, oder?

Nein, den Lerchen nicht. Auch nicht den Schwalben und Mauerseglern. Sie können ja nicht Insekten in die Luft blasen. Wir ­retten mit dem Zufüttern und mit naturnahen ­Gärten nicht die Welt, aber wir können sehr, sehr viele Individuen vieler Arten retten.….

Vogelfüttern und Garten umgestalten, schön und gut. Was könnten gutwillige Menschen noch tun gegen den Vogelschwund?

Ich hoffe, dass die Menschen deutschlandweit mitmachen bei der von mir angestoßenen ­Aktion „Jeder Gemeinde ihr Biotop“. Ich ­wünsche mir eine Volksbewegung! Wir haben 11 000 politische Gemeinden in Deutschland. Wenn die alle mindestens ein Biotop einrichten ­würden wie wir hier im Biotopverbund Bodensee, hätten wir ein dichtes Netz mit ­immer nur wenigen Kilometern dazwischen. Am besten ist, einen Weiher zu schaffen, denn Feuchtgebiete haben die größte Artenvielfalt.……

Wie viel Zeit haben wir noch?

Das weiß nur der Herrgott. Aber wenn wir es in den nächsten zehn Jahren nicht schaffen, den Rückgang zu stoppen und die Vogelpopulation allmählich wieder aufzubauen – dann wird für uns wohl das Abschiedsläuten folgen.